Teilung und Besetzung
Aufstände gegen die zionistische Besiedlung und Landnahme,
von der palästinensischen Nationalbewegung organisiert, und
Terroranschläge jüdischer Untergrundorganisationen ließen
das Land in den 30er und 40er Jahren zunehmend in einen Bürgerkrieg
gleiten. Als sich die britische Mandatsmacht 1947 endlich das Scheitern
ihrer Politik eingestehen mußte, übertrugen sie ihr Mandat
den Vereinten Nationen. Diese verabschiedeten im November einen
Teilungsplan für Palästina, der neben der Gründung
zweier unabhängiger Staaten die Internationalisierung Jerusalems
vorsah. Doch der Plan konnte nie verwirklicht werden. Während
des ersten arabisch-israelischen Krieges 1948/49 eroberte die israelische
Armee weite Teile des den Palästinensern zugesprochenen Staatsgebietes,
Jerusalem selbst wurde geteilt: Ostjerusalem - mit der Altstadt
und den Heiligtümern - gelangte unter jordanische Hoheit, Westjerusalem
wurde dem neu gegründeten Staat Israel eingegliedert.
Zwanzig Jahre später gelang Israel im Sechs-Tage-Krieg die
Eroberung Osterusalems. Um den von diesem Zeitpunkt an erhobenen
Anspruch auf Gesamtjerusalem zu festigen, unternahm die israelische
Regierung gezielte Maßnahmen, demografische und territoriale
Veränderungen zu Gunsten Israels herbeizuführen. So wurden
die Stadtgrenzen unmittelbar nach der Besetzung auf das Vierfache
ausgedehnt und ein dichter Bebauungsplan für Ostjerusalem erlassen.
1980 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, daß das "ganze
und vereinte" Jerusalem zur ewigen Haupstadt Israels erklärte
und die Stadt in den vergrößerten Grenzen völkerrechtswidrig
annektierte. Zwei Jahre später veröffentlichte die israelische
Regierung einen Generalentwicklungsplan, der fast 1/10 des gesamten
Bodens der Westbank erfaßte und in die Stadtgrenzen Jerusalems
eingliederte.
"Großjerusalem"
Seit 1967 wurden drei Siedlungsgürtel um den Ostteil Jerusalems
errichtet, die die Stadt vom palästinensischen Hinterland abschneiden
und darüber hinaus Verbindungen zum westlichen Teil Jerusalems
und zum israelischen Territorium herstellen. Dadurch soll eine erneute
Teilung der Stadt oder die Abtrennung vom Israel unmöglich
gemacht werden. Ein dichtes Straßennetz, das die palästinensischen
Dörfer und Städte nicht berührt, verbindet die jüdischen
Siedlungen der Westbank mit dem Kernland und den Siedlungen in Ostjerusalem.
Siedlungsgürtel
Auch in der Altstadt und dem Gebiet entlang der Statdmauern - dem
ehemaligen Niemandsland - sind weitreichende Veränderungen
vorgenommen worden. Alte Gebäude von historischer Bedeutung
und religiöse Stätten der palästinensischen Bewohner
wurden zerstört oder sind unmittelbar bedroht. Erinnert sei
an die Eröffnung eines Tunnels unterhalb der Aqsa-Moschee,
die im September 1996 zu schweren Unruhen führte. Die in diesem
Zusammenhang stehenden Ausgrabungen unterhalb der Moschee stellen
eine Gefahr für deren Grundmauern dar und haben schon zu einer
Absenkung und zu Rissen geführt.
Die Palästinenser Jerusalems
Die israelischen Maßnahmen in Ostjerusalem übergehen
bewußt die sozialen und kulturellen Interessen der palästinensischen
Bevölkerung. Während das jüdische Altstadtviertel
luxuriös saniert und dessen palästinensische Einwohner
ausgewiesen wurden, kann man in den muslimischen und christlichen
Vierteln einen zunehmenden Verfall der Bausubstanz beobachten, da
die Bewohner Ostjerusalems keine Genehmigungen zur Renovierung oder
Sanierung ihrer Häuser, geschweige denn neue Baugenehmigungen,
erhalten. Palästinensern wird eine ausreichende soziale und
medizinische Infrastruktur vorenthalten, die Abwasser- und Stromversorgung
ist nur unzureichend, und es besteht ein Mangel an kulturellen Einrichtungen,
Treffpunkten und Clubs. Nicht selten wurden palästinensische
Häuser und Einrichtungen auf Anweisung der israelischen Regierung
zweckentfremdet, geschlossen oder - wie das Orienthaus - wiederholt
mit Schließung bedroht. Darüber hinaus steigt seit 1977
die Zahl der Häuserbesetzungen durch radikale israelische Siedler,
die - von Soldaten geschützt und meist selbst schwer bewaffnet
- die palästinensischen Einwohner der Altstadt immer wieder
provozieren, bedrohen und angreifen.
Entzug von Identitätskarten
Im Zuge der Annexion Ostjerusalems erhielten die palästinensischen
Einwohner israelische Identitätskarten, jedoch nicht die israelische
Staatsangehörigkeit; der 1994 an die Bewohner der Westbank
und des Gazastreifens aufgehändigte palästinensische Paß
wurde ihnen verweigert. Das Aufenthalts- und Residenzrecht der Palästinenser
Ostjerusalems ist nach israelischem Recht einzig und alleine von
dem Besitz der Identitätskarte abhängig, wird sie entzogen,
so darf ein in Ostjerusalem geborener und aufgewachsener Palästinenser
seine Heimatstadt nicht mehr betreten. Über 3 000 Palästinensern
waren zwischen 1967 - 1996 von diesem Schicksal betroffen, 2 200
weitere alleine zwischen 1996 und Mai 1999. Die "stille Deportation"
der Palästinenser Ostjerusalems geht unvermindert weiter und
dient, neben den unzähligen anderen Maßnahmen der israelischen
Regierung, der Manifestation des israelischen Anspruchs auf Gesamtjerusalem.
Eine friedliche Lösung?
Dieser Anspruch fand international nie Anerkennung. Erst im März
1999 bekräftigten Botschafter der EU-Staaten in Israel, daß
Jerusalem laut internationalem Recht als "Corpus Seperatum"
angesehen werden müsse, kein Bestandteil Israels sei und deswegen
von der EU nicht als dessen Hauptstadt anerkannt werde. Doch trotz
der anhaltenden weltweiten Proteste gegen die völkerrechtswidrige
Politik der "vollendeten Tatsachen" ignoriert Israel die
legitimen Rechte der Palästinenser auf Ostjerusalem. Es ignoriert
außerdem, daß trotz der angeblichen "Vereinigung"
Ost- und Westjerusalems im Jahre 1967 die Stadt und ihre Bevölkerung
durch das israelische Vorgehen immer tiefer gespalten wurde.
Deswegen dreht sich heute die Frage nicht mehr um eine Teilung
Jerusalems, sondern um seine Vereinigung. Alle Bürger der Stadt
müssen gleichberechtigt eine bessere und friedlichere Zukunft
aufbauen können. Die Beendigung der Besatzung hat hier oberste
Priorität. Nur wenn die israelische Seite diese Rechte anerkennt
und auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens eine Lösung
mit der palästinensischen Regierung erarbeitet, kann die Heilige
Stadt wieder zu einer Stadt des Friedens werden, in der beide Völker
- Palästinenser und Israelis - gleichberechtigt nebeneinander
leben.
Gabal Abu Ghnaim
Am 18.03.1997 begann Israel auf dem Berg Gabal Abu Ghnaim, der
2 km nördlich von Bethlehem liegt, trotz internationaler Proteste
mit dem Bau der Siedlung Har Homa. Abermals versuchte die israelische
Regierung entgegen die vertraglich festgelegten Vereinbarungen,
vollendete Tatsachen zu schaffen und gefährdete damit den gesamten
Friedensprozeß.
Erste Siedlungspläne
Der Gabal Abu Ghnaim gehört zu dem 1967 von Israel besetzten
palästinensischen Gebiet. Seine 1 950 dunums waren auf die
umliegenden Städte und Dörfer Bethlehem, Beit Sahur und
Umm Tuba verteilt. Bereits zu Beginn der siebziger Jahre gab es
unter der Federführung der israelischen Firmen Mikor und Himnota
Pläne für einen Siedlungsbau auf Gabal Abu Ghnaim. Im
Juni 1991 wurde das Gebiet unter dem Vorwand des "öffentlichen
Bedarfs" (Land Law von 1943) durch die israelische Regierung
enteignet, da sie eigene Siedlungsbaupläne hatte. So kam es
nicht nur zu Klagen von Seiten der palästinensischen Landbesitzer,
die abgeschmettert wurden, sondern auch zu einem Rechtsstreit zwischen
der Firma Micor und der israelischen Regierung, was den Planungsprozeß
verzögerte. Aber erst internationaler Druck konnte die israelische
Regierung im Frühjahr 1996 dazu bewegen, das Projekt einzufrieren.
Die Wiederaufnahme des Siedlungsprojektes ließ jedoch nicht
lange auf sich warten. Unter Benjamin Netanyahu, der im Juni 1996
zum neuen israelischen Ministerpräsident gewählt wurde,
beschloß das israelische Kabinett am 26.02.1997 den Bau von
6 500 Wohneinheiten, einem Touristendorf und Industriezonen auf
dem Gabal Abu Ghnaim. In der ersten Phase des Baus soll Raum für
30 000 Siedler geschaffen werden, in den folgenden Phasen soll sich
deren Zahl auf insgesamt 100 000 erhöhen.
Internationales Recht
Die Weltgemeinschaft reagierte empört, denn wie der Bau aller
anderen Siedlungen verstößt Har Homa gegen die 4. Genfer
Konvention, welche die Pflichten und Rechte einer Besatzungsmacht
reguliert. Der Konvention zufolge dürfen Maßnahmen der
Besatzer nur aus Sicherheitsgründen oder zum Wohl der Bevölkerung
des besetzten Gebietes geschehen. Auf keinen Fall darf die Besatzungsmacht
Teile der eigenen Bevölkerung in das besetzte Gebiet umsiedeln.
Darüber hinaus pocht die 1993 unterzeichnete Prinzipienerklärung
auf die territoriale Integrität der besetzten palästinensischen
Gebiete und die Aufrechterhaltung des Staus Quo bis zu den Endstatusverhandlungen.
Während eine Resolution des UN Sicherheitsrates vom 07. März
an dem Veto der USA scheiterte, beschloß die UN Generalversammlung
am 13. März eine Resolution, die den israelischen Siedlungsbau
einschließlich der geplanten Siedlung Har Homa scharf verurteilt.
Ungeachtet dessen begannen am 18. März 1997 die Bauarbeiten
für Har Homa auf dem Berg Gabal Abu Ghnaim.
Politik der vollendeten Tatsachen
Die israelische Regierung verfolgt mit dem Bau von Har Homa insbesondere
ein Ziel: Mit einer Politik der "vollendeten Tatsachen"
soll der Verhandlungsspielraum für des Status von Ostjerusalem
eingeengt und die weitere räumliche Isolierung der Stadt von
der Westbank vorangetrieben werden. Durch den Bau der Siedlung wäre
das jahrhunderte alte religiöse, kulturelle und wirtschaftliche
Zentrum der Palästinenser vom palästinensischen Hinterland
völlig abgeschnitten.
Darüber hinaus ist Bethlehem stark vom Bau betroffen, denn
er trennt die Stadt vom umliegenden Ackerland und unterbindet ihr
natürliches Wachstum. Bethlehem würde von israelischen
Siedlungen, Umgehungsstraßen und im Süden von einer eingezäunten
Militärstraße umringt. Auch das natürliche Wachstum
der palästinensischen Dörfer Beit Sahur und Umm Tuba werden
durch den Bau verhindert, die Verbindung zu umliegenden palästinensischen
Bevölkerungszentren unterbrochen.
Zerstörung des kulturellen Erbes
Schließlich bedroht der Siedlungsbau auf Gabal Abu Ghnaim
liegende religiöse, christliche Stätte von historischer
Bedeutung wie das aus dem 5. Jahrhundert stammende byzantinische
Kloster St. Theodor' Well. Auch wird Har Homa das gesamte Ökosystem
von Gabal Abu Ghnaim, welches seltene Tier- und Pflanzenarten beherbergt,
zerstören. Da der Siedlungsplan den Bau eines Touristendorfes
mit Hotels und Freizeitanlagen vorsieht, in welches große
Teile der erwarteten Touristenströme zur Jahrtausendfeier umgelenkt
werden könnten, stellt Har Homa außerdem eine Gefahr
für die - wirtschaftlich äußerst bedeutende - palästinensische
Tourismusbranche dar.
Für den positiven Fortgang des Friedensprozesses ist es unabdingbar,
daß die neue israelische Regierung von der unter Netanyahu
betriebenen Politik der "vollendeten Tatsachen" Abstand
nimmt, die Bauaktivitäten auf Gabal Abu Ghnaim sofort einstellt
und das 1991 enteignete Land den palästinensischen Besitzern
unverzüglich zurückgibt. |