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Jerusalem

Jerusalem - von den Palästinensern "Al-Quds" genannt - ist seit Jahrhunderten das religiöse, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Palästinenser. Unzählige historische Gebäude, Moscheen und Kirchen zeugen von der uralten arabischen Tradition und bis heute prägt die goldene Kuppel des Felsendoms das Gesicht der Stadt. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten hier Muslimen, Christen und die wenigen in der Stadt verbliebenen Juden friedlich nebeneinander. Doch die massenhafte Einwanderung europäischer Juden und deren Anspruch auf eine "jüdische Heimstätte" in Palästina sollten den Charakter der Heiligen Stadt tiefgreifend verändern.

 


Teilung und Besetzung

Aufstände gegen die zionistische Besiedlung und Landnahme, von der palästinensischen Nationalbewegung organisiert, und Terroranschläge jüdischer Untergrundorganisationen ließen das Land in den 30er und 40er Jahren zunehmend in einen Bürgerkrieg gleiten. Als sich die britische Mandatsmacht 1947 endlich das Scheitern ihrer Politik eingestehen mußte, übertrugen sie ihr Mandat den Vereinten Nationen. Diese verabschiedeten im November einen Teilungsplan für Palästina, der neben der Gründung zweier unabhängiger Staaten die Internationalisierung Jerusalems vorsah. Doch der Plan konnte nie verwirklicht werden. Während des ersten arabisch-israelischen Krieges 1948/49 eroberte die israelische Armee weite Teile des den Palästinensern zugesprochenen Staatsgebietes, Jerusalem selbst wurde geteilt: Ostjerusalem - mit der Altstadt und den Heiligtümern - gelangte unter jordanische Hoheit, Westjerusalem wurde dem neu gegründeten Staat Israel eingegliedert.

Zwanzig Jahre später gelang Israel im Sechs-Tage-Krieg die Eroberung Osterusalems. Um den von diesem Zeitpunkt an erhobenen Anspruch auf Gesamtjerusalem zu festigen, unternahm die israelische Regierung gezielte Maßnahmen, demografische und territoriale Veränderungen zu Gunsten Israels herbeizuführen. So wurden die Stadtgrenzen unmittelbar nach der Besetzung auf das Vierfache ausgedehnt und ein dichter Bebauungsplan für Ostjerusalem erlassen.

1980 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, daß das "ganze und vereinte" Jerusalem zur ewigen Haupstadt Israels erklärte und die Stadt in den vergrößerten Grenzen völkerrechtswidrig annektierte. Zwei Jahre später veröffentlichte die israelische Regierung einen Generalentwicklungsplan, der fast 1/10 des gesamten Bodens der Westbank erfaßte und in die Stadtgrenzen Jerusalems eingliederte.


"Großjerusalem"

Seit 1967 wurden drei Siedlungsgürtel um den Ostteil Jerusalems errichtet, die die Stadt vom palästinensischen Hinterland abschneiden und darüber hinaus Verbindungen zum westlichen Teil Jerusalems und zum israelischen Territorium herstellen. Dadurch soll eine erneute Teilung der Stadt oder die Abtrennung vom Israel unmöglich gemacht werden. Ein dichtes Straßennetz, das die palästinensischen Dörfer und Städte nicht berührt, verbindet die jüdischen Siedlungen der Westbank mit dem Kernland und den Siedlungen in Ostjerusalem.


Siedlungsgürtel

Auch in der Altstadt und dem Gebiet entlang der Statdmauern - dem ehemaligen Niemandsland - sind weitreichende Veränderungen vorgenommen worden. Alte Gebäude von historischer Bedeutung und religiöse Stätten der palästinensischen Bewohner wurden zerstört oder sind unmittelbar bedroht. Erinnert sei an die Eröffnung eines Tunnels unterhalb der Aqsa-Moschee, die im September 1996 zu schweren Unruhen führte. Die in diesem Zusammenhang stehenden Ausgrabungen unterhalb der Moschee stellen eine Gefahr für deren Grundmauern dar und haben schon zu einer Absenkung und zu Rissen geführt.


Die Palästinenser Jerusalems

Die israelischen Maßnahmen in Ostjerusalem übergehen bewußt die sozialen und kulturellen Interessen der palästinensischen Bevölkerung. Während das jüdische Altstadtviertel luxuriös saniert und dessen palästinensische Einwohner ausgewiesen wurden, kann man in den muslimischen und christlichen Vierteln einen zunehmenden Verfall der Bausubstanz beobachten, da die Bewohner Ostjerusalems keine Genehmigungen zur Renovierung oder Sanierung ihrer Häuser, geschweige denn neue Baugenehmigungen, erhalten. Palästinensern wird eine ausreichende soziale und medizinische Infrastruktur vorenthalten, die Abwasser- und Stromversorgung ist nur unzureichend, und es besteht ein Mangel an kulturellen Einrichtungen, Treffpunkten und Clubs. Nicht selten wurden palästinensische Häuser und Einrichtungen auf Anweisung der israelischen Regierung zweckentfremdet, geschlossen oder - wie das Orienthaus - wiederholt mit Schließung bedroht. Darüber hinaus steigt seit 1977 die Zahl der Häuserbesetzungen durch radikale israelische Siedler, die - von Soldaten geschützt und meist selbst schwer bewaffnet - die palästinensischen Einwohner der Altstadt immer wieder provozieren, bedrohen und angreifen.


Entzug von Identitätskarten

Im Zuge der Annexion Ostjerusalems erhielten die palästinensischen Einwohner israelische Identitätskarten, jedoch nicht die israelische Staatsangehörigkeit; der 1994 an die Bewohner der Westbank und des Gazastreifens aufgehändigte palästinensische Paß wurde ihnen verweigert. Das Aufenthalts- und Residenzrecht der Palästinenser Ostjerusalems ist nach israelischem Recht einzig und alleine von dem Besitz der Identitätskarte abhängig, wird sie entzogen, so darf ein in Ostjerusalem geborener und aufgewachsener Palästinenser seine Heimatstadt nicht mehr betreten. Über 3 000 Palästinensern waren zwischen 1967 - 1996 von diesem Schicksal betroffen, 2 200 weitere alleine zwischen 1996 und Mai 1999. Die "stille Deportation" der Palästinenser Ostjerusalems geht unvermindert weiter und dient, neben den unzähligen anderen Maßnahmen der israelischen Regierung, der Manifestation des israelischen Anspruchs auf Gesamtjerusalem.


Eine friedliche Lösung?

Dieser Anspruch fand international nie Anerkennung. Erst im März 1999 bekräftigten Botschafter der EU-Staaten in Israel, daß Jerusalem laut internationalem Recht als "Corpus Seperatum" angesehen werden müsse, kein Bestandteil Israels sei und deswegen von der EU nicht als dessen Hauptstadt anerkannt werde. Doch trotz der anhaltenden weltweiten Proteste gegen die völkerrechtswidrige Politik der "vollendeten Tatsachen" ignoriert Israel die legitimen Rechte der Palästinenser auf Ostjerusalem. Es ignoriert außerdem, daß trotz der angeblichen "Vereinigung" Ost- und Westjerusalems im Jahre 1967 die Stadt und ihre Bevölkerung durch das israelische Vorgehen immer tiefer gespalten wurde.

Deswegen dreht sich heute die Frage nicht mehr um eine Teilung Jerusalems, sondern um seine Vereinigung. Alle Bürger der Stadt müssen gleichberechtigt eine bessere und friedlichere Zukunft aufbauen können. Die Beendigung der Besatzung hat hier oberste Priorität. Nur wenn die israelische Seite diese Rechte anerkennt und auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens eine Lösung mit der palästinensischen Regierung erarbeitet, kann die Heilige Stadt wieder zu einer Stadt des Friedens werden, in der beide Völker - Palästinenser und Israelis - gleichberechtigt nebeneinander leben.


Gabal Abu Ghnaim

Am 18.03.1997 begann Israel auf dem Berg Gabal Abu Ghnaim, der 2 km nördlich von Bethlehem liegt, trotz internationaler Proteste mit dem Bau der Siedlung Har Homa. Abermals versuchte die israelische Regierung entgegen die vertraglich festgelegten Vereinbarungen, vollendete Tatsachen zu schaffen und gefährdete damit den gesamten Friedensprozeß.


Erste Siedlungspläne

Der Gabal Abu Ghnaim gehört zu dem 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiet. Seine 1 950 dunums waren auf die umliegenden Städte und Dörfer Bethlehem, Beit Sahur und Umm Tuba verteilt. Bereits zu Beginn der siebziger Jahre gab es unter der Federführung der israelischen Firmen Mikor und Himnota Pläne für einen Siedlungsbau auf Gabal Abu Ghnaim. Im Juni 1991 wurde das Gebiet unter dem Vorwand des "öffentlichen Bedarfs" (Land Law von 1943) durch die israelische Regierung enteignet, da sie eigene Siedlungsbaupläne hatte. So kam es nicht nur zu Klagen von Seiten der palästinensischen Landbesitzer, die abgeschmettert wurden, sondern auch zu einem Rechtsstreit zwischen der Firma Micor und der israelischen Regierung, was den Planungsprozeß verzögerte. Aber erst internationaler Druck konnte die israelische Regierung im Frühjahr 1996 dazu bewegen, das Projekt einzufrieren.

Die Wiederaufnahme des Siedlungsprojektes ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Unter Benjamin Netanyahu, der im Juni 1996 zum neuen israelischen Ministerpräsident gewählt wurde, beschloß das israelische Kabinett am 26.02.1997 den Bau von 6 500 Wohneinheiten, einem Touristendorf und Industriezonen auf dem Gabal Abu Ghnaim. In der ersten Phase des Baus soll Raum für 30 000 Siedler geschaffen werden, in den folgenden Phasen soll sich deren Zahl auf insgesamt 100 000 erhöhen.


Internationales Recht

Die Weltgemeinschaft reagierte empört, denn wie der Bau aller anderen Siedlungen verstößt Har Homa gegen die 4. Genfer Konvention, welche die Pflichten und Rechte einer Besatzungsmacht reguliert. Der Konvention zufolge dürfen Maßnahmen der Besatzer nur aus Sicherheitsgründen oder zum Wohl der Bevölkerung des besetzten Gebietes geschehen. Auf keinen Fall darf die Besatzungsmacht Teile der eigenen Bevölkerung in das besetzte Gebiet umsiedeln. Darüber hinaus pocht die 1993 unterzeichnete Prinzipienerklärung auf die territoriale Integrität der besetzten palästinensischen Gebiete und die Aufrechterhaltung des Staus Quo bis zu den Endstatusverhandlungen. Während eine Resolution des UN Sicherheitsrates vom 07. März an dem Veto der USA scheiterte, beschloß die UN Generalversammlung am 13. März eine Resolution, die den israelischen Siedlungsbau einschließlich der geplanten Siedlung Har Homa scharf verurteilt. Ungeachtet dessen begannen am 18. März 1997 die Bauarbeiten für Har Homa auf dem Berg Gabal Abu Ghnaim.


Politik der vollendeten Tatsachen

Die israelische Regierung verfolgt mit dem Bau von Har Homa insbesondere ein Ziel: Mit einer Politik der "vollendeten Tatsachen" soll der Verhandlungsspielraum für des Status von Ostjerusalem eingeengt und die weitere räumliche Isolierung der Stadt von der Westbank vorangetrieben werden. Durch den Bau der Siedlung wäre das jahrhunderte alte religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Palästinenser vom palästinensischen Hinterland völlig abgeschnitten.

Darüber hinaus ist Bethlehem stark vom Bau betroffen, denn er trennt die Stadt vom umliegenden Ackerland und unterbindet ihr natürliches Wachstum. Bethlehem würde von israelischen Siedlungen, Umgehungsstraßen und im Süden von einer eingezäunten Militärstraße umringt. Auch das natürliche Wachstum der palästinensischen Dörfer Beit Sahur und Umm Tuba werden durch den Bau verhindert, die Verbindung zu umliegenden palästinensischen Bevölkerungszentren unterbrochen.


Zerstörung des kulturellen Erbes

Schließlich bedroht der Siedlungsbau auf Gabal Abu Ghnaim liegende religiöse, christliche Stätte von historischer Bedeutung wie das aus dem 5. Jahrhundert stammende byzantinische Kloster St. Theodor' Well. Auch wird Har Homa das gesamte Ökosystem von Gabal Abu Ghnaim, welches seltene Tier- und Pflanzenarten beherbergt, zerstören. Da der Siedlungsplan den Bau eines Touristendorfes mit Hotels und Freizeitanlagen vorsieht, in welches große Teile der erwarteten Touristenströme zur Jahrtausendfeier umgelenkt werden könnten, stellt Har Homa außerdem eine Gefahr für die - wirtschaftlich äußerst bedeutende - palästinensische Tourismusbranche dar.

Für den positiven Fortgang des Friedensprozesses ist es unabdingbar, daß die neue israelische Regierung von der unter Netanyahu betriebenen Politik der "vollendeten Tatsachen" Abstand nimmt, die Bauaktivitäten auf Gabal Abu Ghnaim sofort einstellt und das 1991 enteignete Land den palästinensischen Besitzern unverzüglich zurückgibt.